Das Dach der Grande Arche

Die Grande Arche ist der Endpunkt der historischen Achse von Paris und wurde zum Andenken an die Französische Revolution, an deren zweihundertjährigem Jubiläum errichtet. Sie ist ein wirklicher Würfel und wiegt 300.000 Tonnen, was dem dreißigfachen Gewicht des Eifelturms entspricht. Die Oberfläche der Grande Arche ist von ungewöhnlicher Urwüchsigkeit und mit Marmorplatten (2 Hektar) und Glas (2,5 Hektar) bedeckt. Im Hohlraum des Würfels hätte der Champs-Elysees der Breite nach und Notre-Dame de Paris der Höhe nach Platz. Er schlägt alle Weltrekorde: größter Monolit der Welt, höchste Außenaufzüge der Welt, größte einen Leerraum überspannende Fläche! Von dem 110 m hohen Dach bietet sich ein eindrucksvoller Fernblick über die historische Hauptverkehrsachse quer durch Paris.

Zum Teil Zitat aus:
Handzettel zur Grande Arche

 

 

"Künde mir von Großem, Würfel"

Zweihundert Jahre nach der Revolution verkündet die Grande Arche im Vorort La Défense gigantisches Aufklärungspathos: Mitterrands "Triumphbogen der Menschheit" setzt in gerader Linie die Achse von der Place de la Concorde weit über den Arc de Triomphe hinaus fort.

Zitat aus:
Merian Paris 6/43
 

 

 

"La Grande Arche"

“Ein offener Kubus,
Ein Fenster zur Welt,
Wie ein vorübergehendes großes
Finale für den Weg, mit einem Blick in die Zukunft.
Es ist ein moderner “Arc de Triomphe”,
Der den Triumph der Menschlichkeit feiert, Hoffnungssymbol für die Zukunft,
daß sich alle Menschen treffen,
wie sie es mögen ...”

“Wenn man sich diesem Bogen nähert, entpuppt er sich als ein großer gedeckter Platz, auf dem man sich unter die Leute mischen kann ...”

Das sind einige Sätze aus dem Erläuterungsbericht des dänischen Architekten Johan Otto von Spreckelsen zu seinem Wettbewerbsentwurf, den er im März 1983 einreichte.

 

 

Die Geschichte der Defense

Damit man die architektonische Idee besser versteht, muß man La Défense näher erläutern. Um der Gefahr zu entgehen, das Innere von Paris mit Hochhäusern weiterhin irreparabel zu zerstören, andererseits aber den Forderungen nach mehr Bürofläche zu entsprechen, entstand die Idee einer Entlastungsbürostadt im Westen der Innenstadt. “Tour Maine-Montparnasse”, das mit Hochhaus und Zylinderbau alles sprengende Rundfunkgebäude, auch das wie eine Festung wirkende “Quartier Front de Seine” und schließlich die Überbauung des “Ilot Riquet” waren Anlaß, über Hochhäuser im Stadtinnern neu nachzudenken. In der Verlängerung der Achse Louvre - Arc de Triomphe gab es jenseits der Seine und der Place de la Defense ein heruntergekommenes Quartier. Ein Stadterweiterungsplan von 1958 sah vor, auf dieser Fläche, nachdem man die Bewohner in neue, teilweise unmittelbar anschließende Quartiere umgesiedelt hatte, ein ganz modernes Quartier zu errichten, das gemäß der damaligen Vorstellung von Stadtplanung durch die räumliche Trennung aller Funktionen bestimmt sein sollte. Individual- und Schienenverkehr führte man zum Teil unterirdisch und legte über alles eine riesige Plattform - “La Dalle” - von etwa 1,4 km Länge und über 100 m Breite. An sie dockten die Bürohochhäuser, meist Manhattan-Style, jedoch ohne architektonisches Ordnungskonzept, an. Für die westliche Spitze, eben “La Tête”, wurden die unterschiedlichsten Entwürfe gemacht. Auch Pei hatte in den siebziger Jahren einen Vorschlag eingereicht. Doch nichts fand Zustimmung. Dann entschloß sich Präsident Mitterrand 1982, diese Bauaufgabe durch einen Wettbewerb zu lösen - dessen Ziel war “Ausfluchtung und Markierung der Historischen Achse durch ein wichtiges monumentales Bauwerk”. Also nach Louvre und Triumphbogen der dritte Fixpunkt einer Ordnungsfigur für die Stadt.

Der Wettbewerb
Im April 1983 wurde aus den 424 Einsendungen von Spreckelsens Arbeit für die Ausführung bestimmt. Sein Wettbewerbsentwurf und der realisierte Bau sind fast identisch:
Ein mathematisch fast genauer Würfel mit 110 m Höhe und waagerechter Kantenlänge von 106 m steht auf einem dreigeschossigen Sockel, zu dem auf Ost- und Westseite Freitreppen in ganzer Breite hinaufführen. Die etwa 19 m dicken Nord- und Südseiten des Kubus sollen Büros aufnehmen, 35 Geschosse hoch. Auf der Plattform und auf Nord- und Südseite der angrenzenden Platte sollte es Bereiche geben, die unter großen Glassegeln für mannigfaltige Aktivitäten Platz boten. Von Spreckelsen: “Zwischen lebenden Pflanzen und kleinen Wasserspielen kann man sich ausruhen, eine Tasse Kaffee trinken, plaudern, spielen, promenieren, sich die Gegend anschauen ...” Auf dem Dach sollte es einen Garten und ein Restaurant geben. Im Sockel würde das Begegnungszentrum “Carrefour International de la Communication” seinen Platz finden. Das war zu Beginn der Planung der symbolische Inhalt dieses Bauwerks. Dieses und die Glassegel fielen aber den neuen politischen Konstellationen nach den Wahlen im März 1986 zum Opfer. Erhalten blieb die Idee der Panorama-Aufzüge, frei im Kubus untergebracht, um Touristen und Kongreßteilnehmer auf das Dach und in die in der Dachkonstruktion untergebrachten Konferenzsäle zu transportieren, ohne daß der Bürobetrieb in den beiden Scheiben gestört würde. Die Bürogrundrisse ähneln denen aller scheibenförmigen Bürohochhäuser. Eigentlich sind sie nur Füllsel der beiden Scheiben, die mit dem sie verbindenden Dach das Symbol darstellen.

Die Realisierung
Um den Würfel zu bauen, mußte er um 6°30' gegen die historische Achse gedreht werden, weil nur so die Fundamente zwischen den Schienen und Straßen im Untergrund Platz fanden. Die Tragkonstruktion ist ein großes Tor aus vorgespanntem Stahlbeton. Es besteht aus je 4 gebäudehohen Rahmen, die wie Leitern die ganze Tiefe einer Scheibe einnehmen und deren Quersprossen die Stockwerksdecken tragen. Diese “Leitern” sind oben durch eine ähnliche Konstruktion miteinander verbunden, in der die Konferenzsäle untergebracht sind. Hier liegt auch die Stabilisierung gegen den Windangriff. Die Gebäudekanten sind nach innen um 45° abgeschrägt (die Treppen sind flacher, wirken aber optisch genau so schräg), um den Tor-Charakter und auch die angestrebte Abstraktion zu erhöhen. Diese Innenflächen sind glatt und mit weißem Carrara-Marmor verkleidet. Die Fensterseiten dagegen sind stark strukturiert: Die quadratischen Fenster sitzen in zurückspringenden pyramidenförmigen Nischen und sind in der Höhe in Zonen von sieben Geschossen aufgeteilt. In der Vertikalen zeichnen sich die Leiterstützen (konstruktiv sind es Vierendeelträger) als abgeschlossene Bänder ab. Alles ist mit dem gleichen weißen Marmor verkleidet. Die Außenseiten haben zusätzlich eine wandhohe feste Außenverglasung, die sie glatt wie Wolkenkratzer der sechziger Jahre erscheinen läßt. Die Verkleidung der geschlossenen Flächen sind graue Marmorplatten. Aus von Spreckelsens Glassegeln wurde eine nur auf den Kubus beschränkte “Wolke” aus ockerfarbenen Kunststoffsegeln, die den zentralen Zugang zum Sockel überdachen und im übrigen versuchen, den maßstablosen Hohlraum, den der Kubus umschließt, für Menschen erfaßbar zu machen. Die seitlich vorgesehenen Glassegel fielen der neuen Konzeption zum Opfer und sind durch die Büroanbauten “Collines” ersetzt, die der Platte an ihrem Westabschluß eine klarere Begrenzung geben, als es die Glassegel getan haben würden. Die Fertigstellung des Baues hat von Spreckelsen nicht mehr erlebt. Er starb am 16. März 1987. Es war eine glückliche Fügung, daß er nach Übernahme des Auftrags Paul Andreu von der Planungsabteilung der Pariser Flughäfen zu seinem Partner gemacht hatte. Die Wandlungen auch in der Funktion dieses wichtigen Bauwerks von symbolhaften zu kommerziellen Nutzungen sind am Äußeren des Gebäudes spurlos vorübergegangen. Es fällt nur auf, daß die Mehrzahl seiner Besucher Touristengruppen sind, die diese Attraktion nicht versäumen wollen. Die hier Beschäftigten gelangen direkt von der Metro ins Gebäude. Die Wandlung in ihrer städtebaulichen Wirkung, die der Grande Arche aber noch bevorsteht, rührt von einem neuen Projekt. Nur einen Steinwurf nach Nordwesten von ihr entfernt soll nach dem Entwurf von Jean Nouvel (dem Architekten des Institut du Monde Arabe) ein Wolkenkratzer von ca. 460 m Höhe und 40 m Breite gebaut werden, jedoch außerhalb der historischen Achse. Damit würde die städtebauliche Ordnung, mag sie noch so pathetisch gedacht sein, in einen “Catcher Fight à la Manhattan” versinken. Aber es wäre nur die Konsequenz aus dieser 1950 gefällten städtebaulichen Entscheidung und dem ersten hier errichteten Bau, der über dreieckigem Grundriß errichteten Ausstellungshalle C.N.I.T. (1956-58). Wer in die Zukunft der Metropole Paris blickt, kann aber in der Defense - und auch in ihrer heutigen, antiurbanen Konzeption - einen Schritt weg von der traditionellen Stadt sehen, deren Grenzen und Kapazität längst erreicht sind, hin zu neuen städtebaulichen Schwerpunkten, die schon wieder Teil einer ständig wachsenden Region sind, die aber auch Paris heißt. Hier ist nicht die Absurdität des kurz vor der Fertigstellung stehenden Disneyland in der Banlieue gemeint, sondern das konkrete Projekt einer neuen Defense, wieder in der Historischen Achse - die nur noch sentimentale Bedeutung haben wird - fünf Kilometer von der heutigen in gerader Verlängerung nach Westen. Und nur in der schnellen Fahrt erlebbar. Dann würde von Spreckelsens Wettbewerbserläuterung zu seinem Entwurf als nur “vorübergehendes großes Finale mit einem Blick in die Zukunft” eine neue Bedeutung erfahren.

Zum Teil Zitat aus:
Paris - Die Großen Projekte
© 1992 Ernst & Sohn, Verlag für Architektur und technische Wissenschaften, Berlin

 

 

"La Defense"

Im Westen der Stadt, genau in der Achse Champs-Elysees - Triumphbogen - Avenue de la Grande Armée, entstand seit Mitte der sechziger Jahre das Geschäfts-, Ausstellungs- und Wohn(!)-Viertel “La Defense”. Der historische Name (Verteidigung) erinnert an den Krieg 1870/71, als die Franzosen an dieser Stelle den Preußen hartnäckig Widerstand leisteten. Er scheint nicht ganz zu dem aggressiv wirkenden Hochhausviertel zu passen, das den Aufbruch der französischen Hauptstadt ins 21.Jahrhundert ankündigt. Zur 200-Jahr Feier der Französischen Revolution wurde hier 1989 die, mit weißem Carrara-Marmor verkleidete "La Grande Arche" eingeweiht. Der nach dem Entwurf des Dänen Johan Otto von Spreckelsen entstandene 110 m hohe Triumphbogen beherbergt u.a. das französische Ministerium für Städte- und Wohnungsbau und eine internationale Gesellschaft für Menschenrechte. In den "Tours" (Türme), wie die Franzosen Hochhäuser nennen, haben sich vor allem große Computer- und Erdöl-Multis etabliert. So ist La Defense in erster Linie ein Viertel für Geschäftsleute, aber auch Wohnviertel für Leute, die eine "nüchterne" Atmosphäre lieben. Sie finden große Geschäftszentren, Restaurants, Cafes, Kinos, Banken und Boutiquen vor. Bis zum Jahre 2005 soll das Hochhausviertel auf die doppelte Fläche anwachsen und die Achse Champs-Elysee um weitere 3,3 km nach Westen ausgedehnt werden. Zu den extravaganten Architekturleistungen gehören auch der dreieckige Glaspalast der P.F.A. an dar Esplanade General de Gaulle und das große Veranstaltungs-
gebäude des CNIT (Centre National des Industries et Techniques), das die Form einer nach oben offenen Muschel hat. Die riesige Halle (90.000 m²; zum Vergleich die Fläche der Place de la Concorde: 84.000 m²) an der Place de la Defense dient für Massen-
veranstaltungen und große Ausstellungen. Direkt daneben entsteht derzeit als weiterer futuristischer Entwurf die “Tour de la Folie” (Architekt: Jean-Marc Ibos), ein 400 m hoher Turmbau, der zusätzlichen Büroraum für Dienstleistungsunternehmen bieten soll.

Zitat aus:
Baedeker - Reiseführer Paris, 1991

 

 

Paris: Contemporary Architecture

Andrea Gleiniger, Gerhard Matzig and
Sebastian Redecke

Ein lesenswertes Buch, daß 20 aktuelle Architekturprojekte beschreibt und illustriert. Nicht allein auf die Grande Arche beschränkt.

 

 

 

Peter Rice

An Engineer Imagines,
Memoires d'un ingnieur
Editions Le Moniteur, 1998

Buch des Ingenieurs, der die technische Umsetzung der von von Spreckelsen entworfenen Segel in der Grande Arche übernahm.

 

 

La Grande Arche in Paris
Form - Macht -Sinn

Ernst Seidl

Schriften zur Kulturwissenschaft,
Band 17
Hamburg 1998

“Seidl demonstriert, was man aus einer Baumonographie alles machen kann...”
Journal für Kunstgeschichte 6,
2002, Heft 2